12.05.2021
Frischen Wind in die arbeitsrechtliche Praxis bringt derzeit das vom Bundeskabinett just vor Ostern beschlossene Betriebsrätemodernisierungsgesetz.
Neben einer Gesetzesänderung im Bereich der Betriebsratsgründungen und -wahlen stellen eine dauerhafte Nutzungsmöglichkeit moderner Kommunikationsmittel bei der Betriebsratsarbeit, eine Regelung zum Datenschutz im Zusammenhang mit der Betriebsratsarbeit sowie die Manifestation eines eigenen Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Ausgestaltung von mobiler Arbeit zentrale Schwerpunkte des Gesetzentwurfs dar.
a) Änderungen hinsichtlich der Gründung eines Betriebsrates
Der Gesetzentwurf moniert zunächst, dass in manchen Betrieben Arbeitgeber „mit zum Teil drastischen Mitteln“ die Gründung von Betriebsräten verhinderten. Der Entwurf selbst vermag jedoch auch keine Antwort darauf zu geben, wie man meint, die nicht gesetzestreuen Arbeitgeber gerade durch eine Änderung des Gesetzestextes zu einer Verhaltensänderung bewegen zu können.
Unabhängig davon, sieht der Entwurf die folgenden Neuerungen vor: Das in den §§ 14, 14a BetrVG manifestierte einfache Wahlverfahren wird ausgedehnt und ist in der Zukunft Pflicht in Betrieben mit bis zu 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern. Bei einer entsprechenden Vereinbarung kann es bis zu einer Größe von 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern Anwendung finden. Parallel dazu wird der Kündigungsschutz derjenigen, die zur Wahlversammlung einladen, erweitert: Statt bisher drei sind künftig die ersten sechs in der Einladung aufgeführten Arbeitnehmer gegen ordentliche Kündigungen geschützt. Ferner wird der Kündigungsschutz auf Arbeitnehmer ausgeweitet, die Vorbereitungshandlungen zur Gründung eines Betriebsrats unternehmen.
b) Dauerhafte Nutzungsmöglichkeit moderner Kommunikationsmittel in der Betriebsratsarbeit
Derzeit besteht die Möglichkeit an Sitzungen und Beschlussfassungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats und anderer Gremien mittels Video- und Telefonkonferenz teilzunehmen. Diese in § 129 BetrVG normierte Vereinfachung ist befristet bis zum 30. Juni 2021. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass mit einer dauerhaften Regelung auch zukünftig der Einsatz moderner Kommunikationsmittel gewährleistet werden soll.
Der Gesetzentwurf sieht hierfür eine Normierung in § 30 BetrVG vor, welcher ergänzt wird. In der Zukunft soll es grundsätzlich dabeibleiben, dass Betriebsratssitzungen als Präsenzsitzung durchgeführt werden. Neu ist jedoch die Möglichkeit der Gremien, Sitzungen und Beschlussfassungen anhand von Video- und Telefonkonferenzen durchzuführen. Demgemäß wird es auch die Option geben, die gesamte Sitzung virtuell anzuhalten, sowie einzelne Teilnehmer zu einer Präsenzsitzung zuzuschalten. Besonders erwähnenswert ist, dass der Betriebsrat über den Einsatz moderner Kommunikationsmittel autonom entscheiden kann; der Arbeitgeber kann dies weder verhindern noch erzwingen – auch nicht vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie. Interessant ist aber auch, dass das Gesetz den Grundsatz des Vorrangs der Präsenzsitzung beibehält. Der gesetzliche Grundgedanke strebt damit keineswegs eine universale Verschiebung der Betriebsratstätigkeit in den virtuellen Raum – wie dies etwa einzelne Gremien in der IT-Branche anstreben oder schon praktizieren – an. Die Betriebsräte werden sich dementsprechend eine Geschäftsordnung geben müssen, die diesen Grundsatz absichert. Zudem wird zukünftig darauf zu achten sein, dass in der Einladung zur Betriebsratssitzung stets ein Hinweis erfolgen muss, wenn die Nutzung von Video- und Telefonkonferenzfunktionen geplant ist. Deren Nutzung ist im Einzelfall künftig nämlich dann unzulässig, wenn mindestens ein Viertel der Betriebsratsmitglieder widersprochen haben.
Aufmerksamkeit erregt dabei jedoch gerade das, was im Gesetzestext NICHT geregelt ist: So besteht derzeit nach § 129 Abs. 2 BetrVG eine entsprechende Option, Einigungsstellen auf virtuellem Wege durchzuführen. Auch diese Option ist bis zum 30. Juni 2021 befristet. Der Gesetzentwurf sieht nun jedoch keine parallele Regelung hierzu vor, sodass Einigungsstellen ab dem 1. Juli 2021 wieder zwingend in Präsenz durchzuführen wären.
c) Die Ausgestaltung mobiler Arbeit – Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats?
Der Gesetzgeber beschäftigt sich derzeit ausführlich und auf unterschiedlichen Ebenen mit der Frage, ob und wie mobile Arbeit zu regeln ist. Zwar sieht der Entwurf des Mobile-Arbeit-Gesetzes (MAG) keinen subjektiven Anspruch der Arbeitnehmer auf mobile Arbeit mehr vor. Die Corona-Arbeitsschutzverordnung jedoch regelt zumindest eine (vorübergehende) Pflicht der Arbeitgeber, Homeoffice anzubieten, wo dies möglich ist.
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz wagt nun sogar den Sprung ins kollektive Arbeitsrecht und kodifiziert ein neues, eigenes Recht des Betriebsrats auf Mitbestimmung bei der Ausgestaltung von mobiler Arbeit, welche mittels Informations- und Kommunikationsmittel erbracht wird. Hierfür wurde der Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG um eine neue Ziffer 14 erweitert. Bisher hatte der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei mobiler Arbeit nur über einen „Umweg“ dort, wo bei der Ausgestaltung bereits verankerte Mitbestimmungsrechte betroffen sind. Künftig besteht hingegen ein umfassendes Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung der mobilen Arbeit.
Hier kann auch eine Parallele zu § 80 Abs. 1 Nr. 5 des aktuellen Gesetzesentwurfs zur Novellierung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG) festgestellt werden, welcher dem Personalrat ein Mitbestimmungsrecht bei „Einführung, Änderung und Aufhebung von Arbeitsformen außerhalb der Dienststelle“ gewährt. Der gestiegenen Bedeutung flexibler und mobiler Arbeitsformen außerhalb der Dienststelle“ soll nun auch durch eine klar formulierte Regelung zur Mitbestimmung Rechnung getragen werden.
Gleichzeitig ist damit eine wichtige Grenze aufgezeigt: Die fundamentale Frage, „ob“ der Arbeitgeber überhaupt mobile Arbeit einführt, verbleibt – zumindest im privaten Sektor – nach wie vor in seiner alleinigen Entscheidungsbefugnis.
Eine Definition des Begriffs der mobilen Arbeit sucht man im BetrVG auch künftig vergebens; für das BPersVG gilt Ähnliches. Allerdings wird das Mitbestimmungsrecht auf mobile Arbeit eingeschränkt, „die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird“. Laut Gesetzesbegründung liegt mobile Arbeit vor, „wenn er oder sie die geschuldete Arbeitsleistung unter Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnik außerhalb der Betriebsstätte von einem Ort oder von Orten seiner oder ihrer Wahl oder von einem mit dem Arbeitgeber vereinbarten Ort oder von mit dem Arbeitgeber vereinbarten Orten erbringt“. Daher sind beispielsweise die Tätigkeiten von Fahrern und Boten genauso wenig umfasst wie Tätigkeiten, bei denen sich die Mobilität zwingend aus der Eigenart der zu erbringenden Arbeitsleistung ergibt, wie etwa bei Handelsvertretern und Monteuren. Sowohl die regelmäßige als auch nur die anlassbezogene mobile Arbeit ist erfasst. Das Mitbestimmungsrecht wurde zudem auf alle Regelungen des “wie“, von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie über den Ort, von welchem aus mobil gearbeitet werden darf, bis hin zur Ausstattung der einzelnen Arbeitnehmer ausgedehnt.
d) Verarbeitung von Daten durch den Betriebsrat
Der Entwurf trifft mit dem neu eingeführten § 79 BetrVG zudem erstmals Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat. Danach bleibt der Arbeitgeber die für die Verarbeitung verantwortliche Stelle im datenschutzrechtlichen Sinne. Dennoch wird explizit festgehalten, dass auch der Betriebsrat bei der Verarbeitung personenbezogener Daten die datenschutzrechtlichen Vorschriften einzuhalten hat. Dieser Widerspruch zwischen der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers und der gleichzeitigen Verpflichtung des Betriebsrats zum Datenschutz wird schließlich dadurch aufgelöst, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat bei der Einhaltung der datenschutzrechtlichen Regelungen gegenseitig unterstützen sollen.
Eine wirkliche Neuerung schafft die Vorschrift damit nicht. Auch bisher ging die Literatur mehrheitlich davon aus, dass der Arbeitgeber Verantwortlicher im Sinne des Datenschutzes ist, da der Betriebsrat im Außenverhältnis keine eigenständige Institution darstelle. Diese Überlegung greift nun auch die Gesetzesbegründung auf. Eine tatsächliche Reform wäre es gewesen, hätte man dem Betriebsrat für sein eigenes Handeln nun auch eine eigene eindeutige Verantwortlichkeit zugewiesen.
e) Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV)
Im Bereich der Jugend- und Auszubildendenvertretung wird hinsichtlich der zur Berufsausbildung Beschäftigten die Voraussetzung gestrichen, dass diese das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Anknüpfung an ein bestimmtes Lebensalter wird – auch zur Vermeidung jeder Altersdiskriminierung – mithin zukünftig nicht mehr vorgenommen. Diese Änderung ist begrüßenswert, denn es erschließt sich nicht, inwiefern es von Relevanz sein soll, ob man sich vor oder nach dem 25. Lebensjahr in einer Berufsausbildung befindet. Gerade angesichts der Tatsache, dass ein steigender Anteil an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Durchlaufen einer Ausbildung älter als 25 ist, vermag die Neuregelung wegen ihrer Anpassung an die Gegebenheiten der modernen Arbeitswelt zu überzeugen. Demnach sind Auszubildende nach Vollendung des 25. Lebensjahres künftig ebenfalls aktiv und passiv wahlberechtigt in der JAV.
f) Gesetzestitel und Wirklichkeit – Modernisierung oder status quo?
Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzesentwurf mangels innovativer Ansätze auch zukünftig noch viel Stoff für Diskussionen liefern wird.
Die Fachwelt – allen voran die Betriebsratsseite – moniert insbesondere, dass keine Verlängerung der Möglichkeit besteht, Einigungsstellen virtuell durchzuführen. Hier ist jedoch zu beachten, dass ein Verhandlungsdurchbruch oft einfacher im Präsenzgespräch zu erzielen ist. Ferner muss strikt kontrolliert werden, wer im virtuellen Raum alles mithören und teilnehmen kann, denn Einigungsstellensitzungen sind geheim. Auch die Ablenkung der Teilnehmer durch andere Aspekte ist ein Faktor, den es zu beachten gilt. Zudem spielt Zeit bei der Einigungsstelle eine entscheidende Rolle, da jeder Tag den Arbeitgeber bis zu ca. EUR 10.000 kosten kann. Nicht zuletzt drehen sich die Gespräche in der Einigungsstelle oft um für den Betrieb äußerst bedeutsame Angelegenheiten (Stichwort Interessenausgleich und Sozialplan), sodass ein Festhalten am status quo jedenfalls sehr gut begründbar ist.
An anderer Stelle lässt der Entwurf jedoch tatsächlich zeitgemäße Modernisierung vermissen. So wurde die Chance verpasst, zum einen die Möglichkeit einzuführen, Betriebsratswahlen online durchzuführen und zum anderen Wahlvorständen das virtuelle Zusammenkommen zu ermöglichen. Eine umfassende Reform wurde damit letztendlich nicht gewagt.
Ähnlich verhält es sich mit der bislang unerwähnten Thematik der Künstlichen Intelligenz (KI). So hat die Bundesregierung eine „Strategie Künstliche Intelligenz“ beschlossen, um das Feld der KI bei den Auswirkungen der Digitalisierung eigens zu würdigen. Im hier vorliegenden Gesetzentwurf findet sich diesbezüglich eine Erweiterung des § 90 BetrVG. Klarstellend wird erwähnt, dass sich die Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats bei der Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen auch auf solche unter Einsatz Künstlicher Intelligenz beziehen.
In § 95 BetrVG wird künftig ebenfalls geregelt, dass der Betriebsrat auch bei Auswahlrichtlinien mitzubestimmen hat, wenn bei der Aufstellung der Richtlinien KI eingesetzt wird. In beiden Fällen kann den Änderungen allenfalls klarstellende Wirkung zukommen. Denn im Rahmen des § 90 BetrVG verbleibt es insbesondere bei den Unterrichtungs- und Beratungsrechten ohne „hartes“ Mitbestimmungsrecht. Die alleinige Einfügung des Terminus der Künstlichen Intelligenz reicht für eine tatsächliche Modernisierung nicht aus. Nicht viel einfallsreicher stellt sich die zweite Änderung in dieser Thematik dar: In § 80 Abs. 3 BetrVG wird künftig normiert, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen „als erforderlich“ gilt, wenn der Betriebsrat die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz zu beurteilen hat. Erfahrungsgemäß wird der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats bei Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen in der Praxis aber sehr weit ausgelegt, sodass der Modernisierungsgrad dieser Änderung nur gering ist. Mithin ist festzuhalten: Der Gesetzgeber hat auch hier eine Gelegenheit versäumt, die Thematik der Künstlichen Intelligenz im Betrieb zeitgemäß zu regeln und stattdessen überwiegend substanzlose Verschönerungen vorgenommen.
Zunächst hat die Bundesregierung am 1.4.2021 den im Kabinett zuvor beschlossenen Entwurf des Gesetzes in den Bundesrat eingebracht (BR-Drs. 271/21). Dabei handelt es sich um das standardmäßige und vom Grundgesetz vorgegebene Verfahren bei Gesetzentwürfen der Bundesregierung (vgl. Art. 76 Abs. 2 S. 1 GG). Interessant ist jedoch, dass die Bundesregierung unter Verweis auf die Parlamentsferien (des Bundestages) im Sommer das Gesetz als besonders eilbedürftig deklariert hat. Damit verbleibt dem Bundesrat zwar seine sechswöchige Frist zur Stellungnahme zum Gesetzentwurf, die Bundesregierung kann jedoch bereits nach drei Wochen den Entwurf an den Bundestag weiterleiten und die Stellungnahme des Bundesrates sodann nachreichen gemäß Art. 76 Abs. 2 S. 4 GG.
Die Frage, ob tatsächlich Eilbedürftigkeit gegeben ist, bleibt lediglich theoretischer Natur. Einerseits steht der Bundesregierung ein großer Einschätzungsspielraum zu, andererseits ist dem Bundesrat nach wie vor eine Stellungnahme möglich, zu deren Weiterleitung an den Bundestag die Bundesregierung auch verpflichtet ist. Die Frist für den Bundesrat endet am 13.5.2021 (BR-Drs. 271/21, S. 1).
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz wird erhebliche Auswirkungen auf die Praxis haben. So wird das Mitbestimmungsrecht im Bereich der mobilen Arbeit zwar Debatten beenden aber gleichzeitig zu vielen Begehrlichkeiten auf Seiten der Betriebsräte führen. Gerade solche Betriebe, welche im Zuge der Pandemie erstmals oder verstärkt auf mobile Arbeit gesetzt haben, werden sich in der Zukunft Forderungen von Arbeitnehmern und Betriebsräten nach Möglichkeiten des mobilen Arbeitens und dessen Regelung in einer Betriebsvereinbarung ausgesetzt sehen. Zukünftig besteht für sie hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung auch die Möglichkeit dies über eine Einigungsstelle erzwingen. Der Praxis ist daher geraten den weiteren Gesetzgebungsprozess sowie etwaige Änderungen aufmerksam zu verfolgen.