09.11.2018
Der Europäische Gerichtshof hat in zwei Entscheidungen am 06.11.18 neue Leitlinien im Urlaubsrecht festgesetzt. Zum einen darf ein Arbeitnehmer seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verlieren, weil er keinen Urlaub beantragt hat (Verfahren C-619/16 und C-684/16). Nur wenn der Arbeitgeber nachweist, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, steht das Unionsrecht dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem entsprechenden Wegfall einer finanziellen Vergütung nicht entgegen.
Zum zweiten bestätigte der EuGH, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach dem Unionsrecht nicht mit seinem Tod untergeht (Verfahren C‑569/16 und C‑570/16). Daher könnten die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers eine finanzielle Vergütung für den von ihm nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen, und zwar sowohl gegenüber einem öffentlichen als auch gegenüber einem privaten Arbeitgeber.
Das deutsche Urlaubsrecht basiert auf dem Grundgedanken, dass Urlaub durch den Arbeitnehmer beantragt und dann durch den Arbeitgeber gewährt werden muss. Wird Urlaub bis zum Ablauf des Jahres gar nicht erst beantragt, verfällt er. Dieser Grundsatz wird so nicht mehr zu halten sein. Vielmehr muss der Arbeitgeber hinsichtlich der Gewährung des Urlaubs selbst aktiv geworden sein und dies beweisen können, bevor dieser verfällt. Zwingen muss der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer hingegen nicht, in Urlaub zu gehen.
Des Weiteren sieht das deutsche Recht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG in Verbindung mit § 1922 Abs. 1 BGB vor, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung bisher nicht genommenen Urlaubs nicht Teil der Erbmasse wird, wenn dieser verstirbt. Dies wird künftig so nicht mehr zu halten sein. Der EuGH verlangt hier vom BAG, dass die erbrechtliche Regelung unangewandt bleiben muss, wenn sie sich nicht mit Unionsrecht in Einklang bringen lässt.
Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer künftig darüber aufklären, dass bezahlter Jahresurlaub demnächst verfällt, und es ihnen konkret ermöglichen, diesen zuvor noch zu nehmen. Bleiben beide Seiten untätig, verfällt der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht mehr automatisch. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer aber auch künftig nicht zwingen, in Urlaub zu gehen – etwa durch Entzug der Zugangsrechte zum Betrieb. Der konkrete und deutliche Hinweis auf den drohenden Verfall verbunden mit der Aufforderung, den Urlaub rechtzeitig zu nehmen, sollte auch künftig ausreichen. Wir empfehlen, künftig schon zu Beginn des Arbeitsverhältnisses in einem Merkblatt über die Folgen eines fehlenden Antrags hinzuweisen. Zusätzlich sollten insbesondere Mitarbeiter im gekündigten Arbeitsverhältnis förmlich und nachweisbar zur Urlaubsnahme vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgefordert werden.
Verstirbt ein Arbeitnehmer, so ist künftig damit zu rechnen, dass die Erben einen finanziellen Ausgleich für noch nicht genommenen Urlaub geltend machen können. Zu prüfen ist im Einzelfall, ob dafür Rückstellungen zu bilden sind.