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Verjährungsfrist bei Urlaubsansprüchen

15.09.2023

BLUEDEX Verjährung Urlaub

BAG: Lauf der Verjährungsfrist beginnt bei (gesetzlichen) Urlaubsansprüchen erst nach Hinweis des Arbeitgebers

Der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern unterliegt der Verjährung. Durch die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung des Gesetzes bestehen jedoch Besonderheiten im Hinblick auf den Beginn der Verjährungsfrist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat Ende 2022 entschieden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzen muss, den Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen. Das gilt jedenfalls für den gesetzlichen Mindesturlaub, unter Umständen zusätzlich auch für vertragliche Ansprüche auf Mehrurlaub.

I. Sachverhalt

Das BAG hatte über den Fall einer Klägerin zu entscheiden, die bis 2017 bei dem Beklagten, einem Steuerberater, angestellt gewesen war. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses klagte sie unter anderem Abgeltung für insgesamt 101 Urlaubstage ein. Dabei handelte es sich um nicht gewährten Urlaub aus den Jahren 2011 bis 2017. Der Beklagte war seinen Mitwirkungsobliegenheiten hinsichtlich des Urlaubsanspruchs der Klägerin nicht nachgekommen. Er hatte die Klägerin im Verlauf des Arbeitsverhältnisses weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass der Anspruch andernfalls mit Ablauf des Kalenderjahres oder eines Übertragungszeitraums verfallen würde.

II. Lauf des Verfahrens

Vor dem Arbeitsgericht Solingen (1. Instanz) war die Klägerin nur zu einem kleinen Teil erfolgreich. Das Arbeitsgericht sprach ihr lediglich einen Abgeltungsanspruch im Hinblick auf drei Urlaubstage zu, die für das Jahr 2017 nicht gewährt worden waren. Zur Begründung führte das Gericht aus, der Klägerin stehe kein Urlaubsanspruch aus den Jahren vor 2017 zu. Die entsprechenden Ansprüche seien nicht aus dem jeweiligen Urlaubsjahr übertragen worden.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Im Rahmen des Berufungsverfahrens berief sich der Beklagte unter anderem darauf, dass die Urlaubsansprüche der Klägerin inzwischen verjährt seien.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte über die Berufung zu entscheiden. Es ging von einem wesentlich höheren Resturlaubsanspruch der Klägerin aus und sprach ihr daher einen Abgeltungsanspruch für weitere 76 Tage zu. Der Urlaubsanspruch sei in diesem Umfang insbesondere nicht verjährt, da eine Verjährung nur eintreten könne, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen sei. Gegen diese Entscheidung legte der Arbeitgeber Revision ein.

Das BAG, das nun als Revisionsinstanz für den Fall zuständig war, wandte sich zunächst im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ein Vorabentscheidungsverfahren wird durchgeführt, wenn ein Gericht in einem EU-Mitgliedstaat eine Frage als ungeklärt ansieht, die zum Erlass eines Urteils beantwortet werden muss und die Auslegung der EU-Verträge berührt. Einen solchen Fall sah das BAG gegeben. Es legte dem EuGH daher die Frage vor, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist gestattet, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderungen und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben.
Der EuGH entschied daraufhin im September 2022, dass nach unionsrechtskonformer Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes die Frist für die Verjährung des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs erst zu laufen beginne, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der tatsächlichen Gewährung von Urlaub nachgekommen sei.

III. Entscheidung des BAG

Die Revision des Arbeitgebers vor dem BAG hatte keinen Erfolg. Das Gericht bestätigte die Entscheidung der Berufungsinstanz und führte in Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung aus, dass der nicht gewährte Urlaub aus den Jahren 2011 bis 2017 abzugelten sei, da die Urlaubsansprüche der Klägerin weder verfallen noch verjährt seien. Der Lauf der Verjährungsfrist beginne erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen.

Dieser Grundsatz gilt nach dem BAG zwingend für den gesetzlichen Mindesturlaub. Hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer arbeitsvertraglich einen zusätzlichen Urlaubsanspruch vereinbart, könnten sie für diesen Teil hinsichtlich der Mitwirkungsobliegenheiten abweichende Regelungen treffen. Würden die Parteien jedoch auf solche abweichenden Regelungen verzichten, würden die genannten Vorgaben zum Verjährungsbeginn auch für den arbeitsvertraglichen Mehrurlaub gelten. In diesem Fall teile der Mehrurlaub im Hinblick auf die Verjährung das Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs, sodass die Verjährungsfrist auch für den vertraglichen Teil erst nach Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beginnen könne. Daher sei auch der vertragliche Anspruch der Klägerin auf Mehrurlaub nicht verjährt.

IV. Praxisrelevanz der Entscheidung

Durch das Urteil hat das BAG zunächst entschieden, dass Urlaubsansprüche überhaupt der Verjährung unterliegen. Diese Frage war zuvor umstritten und nicht abschließend höchstrichterlich geklärt.

Die Entscheidung hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist verdeutlicht die Bedeutung der Mitwirkungsobliegenheiten von Arbeitgebern in Sachen Urlaubsansprüche. Es ist wichtig, Arbeitnehmer durch entsprechende Hinweise in die Lage zu versetzen, dass sie ihren Urlaubsanspruch tatsächlich wahrnehmen können. Andernfalls droht aus Arbeitgebersicht eine Kumulation von Urlaubsansprüchen. Daher ist zu einer regelmäßigen, rechtzeitigen und sorgfältigen Erteilung entsprechender Hinweise zu raten.