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ArbG Kiel: Rechtmäßige Weisung zur Arbeit in Präsenz in Pandemiezeiten

05.08.2021

  1. Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht Kiel hat in seinem Urteil vom 11. März 2021 zum Aktenzeichen 6 Ca 1912 c/20 entschieden, dass ein während der Pandemie zeitweise im „Home Office“ beschäftigter Mitarbeiter die Rückkehr zur Präsenzarbeit auch dann nicht verweigern darf, wenn er sich aufgrund einer Asthmaerkrankung als „Risikopatient“ erachtet.

  1. Hintergrund

Der Kläger wehrte sich mit seiner Klage gegen eine außerordentliche und fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch die beklagte Arbeitgeberin.
Der Kläger war seit 2016 bei der Beklagten als Web-Entwickler beschäftigt. Er hatte seit aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie ab März 2020 im Home Office gearbeitet. Im Dezember 2020 wurde er von der Beklagten angewiesen, für die Dauer von zwei Wochen vor Ort im Betrieb zwei neue Mitarbeiter einzuarbeiten. Der Kläger kam der Weisung zunächst nach, erklärte die Einarbeitung aber bereits nach zwei Tagen für abgeschlossen. Als Begründung nannte er das erhöhte Risiko einer Corona-Infektion und eines schweren Verlaufs aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer „Risikogruppe“. Die Arbeit in Präsenz sei ihm auch deshalb nicht zumutbar, weil er durch den Kontakt mit Kollegen seine unmittelbar im Anschluss an die Einarbeitungszeit anstehende Urlaubsreise gefährde. Trotz wiederholter Aufforderung der Beklagten weigerte sich der Kläger, wieder im Betrieb zu erscheinen, woraufhin die Beklagte das Arbeitsverhältnis kündigte.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche, fristlose Kündigung rechtfertigender Grund sei in der beharrlichen Arbeitsverweigerung des Klägers zu erblicken. Die Aufforderung der Beklagten zur Aufnahme der Präsenzarbeit sei rechtmäßig. Die Beklagte habe ihr Direktionsrecht im Rahmen billigen Ermessens ausgeübt. Ein Verstoß gegen Schutzpflichten sei ihr nicht anzulasten, da sie die Vorgaben der Corona-Arbeitsschutzvorschriften und -empfehlungen im Betrieb eingehalten habe. Zwar sei das Ansteckungsrisiko im Betrieb generell höher als zu Hause. Auch sei das Krankheitsrisiko für den Kläger als attestierter Asthmatiker leicht erhöht. Die Beschäftigung in Präsenz komme aber nur dann nicht in Betracht, wenn dem Mitarbeiter aufgrund einer Vorerkrankung ein derartig hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf attestiert sei, dass jeder Kontakt mit anderen Mitarbeitern unverantwortlich wäre. Dies war hier nicht der Fall. Das Interesse der Beklagten an einem ordnungsgemäßen Betriebsablauf durch die Einarbeitung neuer Mitarbeiter überwiege dem Interesse des Klägers an seiner Urlaubsreise.

  1. Praxistipp

Nach dem Auslaufen der gesetzlichen Bestimmung zur sog. „Home Office Pflicht“, also der Pflicht von Arbeitgebern, Mitarbeitern „Home Office“ anzubieten, sofern keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen zum 30. Juni 2021 stellen sich viele Arbeitgeber die Frage, ob sie ihre Mitarbeiter in den Betrieb zurückholen dürfen. Entsprechende Weisungen dürften im Rahmen des Direktionsrechts rechtmäßig sein, wenn ein besonderes Gesundheitsrisiko des Mitarbeiters nicht konkret attestiert ist, wenn die geltenden Corona-Schutzvorschriften im Betrieb eingehalten werden und wenn die Arbeitsvertrags- oder Betriebsparteien nicht ausdrücklich etwas Gegenteiliges vereinbart haben. Der Arbeitnehmer darf seine Rückkehr in den Betrieb dann nicht mit dem bloßen Hinweis auf seine Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe verweigern.