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BAG: Kein generelles Recht auf Unerreichbarkeit für Arbeitnehmer

01.02.2024

BLUEDEX

Für viele Arbeitnehmer ist es eine Selbstverständlichkeit geworden, auch in ihrer Freizeit über E-Mail, SMS oder WhatsApp erreichbar zu sein. Die Folge: eine Vermischung der Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit, die teilweise an den Ressourcen nagt.

Doch müssen Arbeitnehmer in ihrer Freizeit SMS oder E-Mails lesen bzw. sind dienstliche Anweisungen in der Freizeit überhaupt möglich? Damit hatte sich das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 23. August 2023 (5 AZR 349/22) auseinandergesetzt.

I. Sachverhalt

In dem konkreten Fall war der Kläger bei der Beklagten als Notfallsanitäter beschäftigt. In der geltenden Betriebsvereinbarung gab es Regelungen betreffend die Zuteilung einzelner Springerdienste. Diese werden spätestens vier Tage vor Dienstbeginn durch eine konkrete Schichtzuteilung verbindlich. Ist allerdings zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Schichtzuteilung möglich, erfolgt die Zuteilung von sog. unkonkreten Springerdiensten. Diese unkonkret zugeteilten Springerdienste können laut der Betriebsvereinbarung für Tag,- Spät- und Nachtdienste bis 20 Uhr des Vortages vor Dienstbeginn weiter konkretisiert werden. Nach der Konkretisierung wird der Dienstplan, der im Internet über einen sog. Self Service einsehbar ist, entsprechend angepasst.

Der Kläger wurde während seiner arbeitsfreien Tage in zwei Fällen – nachdem er telefonisch nicht erreichbar war – durch SMS sowie per E-Mail des Arbeitgebers über die Konkretisierung seiner unkonkreten Springerdienste informiert. Er nahm die SMS des Arbeitgebers jedoch nicht wahr und erschien nicht bzw. verspätet zum Schichtbeginn. Die Beklagte zog daraufhin die Fehlzeiten von dem Arbeitszeitkonto des Klägers ab und sprach eine Abmahnung wegen unentschuldigtem Fehlen aus.

Der Arbeitnehmer erhob nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung Klage auf Gutschrift der abgezogenen Arbeitsstunden und Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Nach Ansicht des Klägers war er während seiner Freizeit nicht dazu verpflichtet, sich über seine Arbeitszeiten zu informieren. Überdies umginge der Arbeitgeber mit diesem Vorgehen die Voraussetzungen für die Anordnung von Rufbereitschaft.

Dagegen trug der Arbeitgeber vor, dass der Arbeitnehmer bereits aus seiner arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dazu verpflichtet sei, sich über seine Dienstzeiten zu informieren. Wobei die Zeit, in der er sich informiere, nicht als Arbeitszeit zu bewerten sei.

II. LAG Schleswig-Holstein – Recht auf Unerreichbarkeit
(Urt. vom 27.9.2022 – 1 Sa 39 öD/22)

 Nachdem das ArbG Elmshorn die Klage abgewiesen hatte und der Auffassung war, dass der Arbeitnehmer für Mitteilungen des Arbeitgebers betreffend die geänderte Arbeitszeit zur Verfügung gestanden hätte (Urteil vom 27.1.2022 – 5 Ca 1023 a/21) beurteilte das LAG Schleswig-Holstein die Rechtslage anders.

Nach Auffassung des LAG Schleswig-Holstein sei der Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet, während seiner Freizeit dienstliche SMS zu lesen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren. Bei dem Lesen einer SMS, mit der der Arbeitgeber Zeit und Ort der Arbeitsleistung konkretisiere, handele es sich um Arbeitszeit, denn das Lesen der Nachricht diene fremden Bedürfnissen und stelle damit eine Arbeitsleistung dar. Nach der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein stünde dem Arbeitnehmer in seiner Freizeit ein Recht auf Unerreichbarkeit zu, sodass er nicht dazu verpflichtet gewesen sei, eine Mitteilung des Arbeitgebers, per Telefon oder SMS entgegenzunehmen. Die verspätete Kenntnisnahme der Dienstplanänderung bei Dienstbeginn begründete nach Ansicht des LAG kein unentschuldigtes Fehlen, da der Arbeitgeber nicht nachweisen konnte, dass dem Arbeitnehmer die kurzfristige Änderung des Dienstplans zugegangen sei.

III. Entscheidung des BAG – Kein Recht auf Unerreichbarkeit
(Urt. vom 23.8.2023 – 5 AZR 349/22)

 Das BAG sah das anders. Der Arbeitgeber konnte den Springerdienst wirksam konkretisieren. An die erteile Weisung des Arbeitgebers zur Konkretisierung der Arbeitszeit war der Kläger auch gebunden. Dabei stellte das BAG auch klar, dass im vorliegenden Fall keine Arbeit auf Abruf vereinbart war. Bei der Arbeit auf Abruf sei nämlich typisch, dass der Arbeitgeber entsprechend dem Arbeitsanfall Lage und Dauer der Arbeit bestimmen könne und dadurch den Arbeitnehmer verpflichten könnte, auf Anforderung zu arbeiten. Vorliegend sei aber die Dienstplanung im Voraus festgelegt gewesen, es ging lediglich um die nähere Konkretisierung des Dienstbeginnes.

Ferner sei der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis dazu verpflichtet, die ihm zugewiesenen Dienstzeiten auch in seiner Freizeit wahrzunehmen und Weisungen des Arbeitgebers zur Konkretisierung der Arbeitszeit entsprechend entgegenzunehmen.

Die Kontaktaufnahme des Arbeitgebers hindere den Arbeitnehmer nicht erheblich, seine Freizeit frei zu gestalten. Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne liege daher nicht vor. Ferner werde die Ruhezeit des Arbeitnehmers nicht unterbrochen, da er frei wählen könne, zu welchem Zeitpunkt er die Weisung zur Kenntnis nimmt. Der Moment der Kenntnisnahme der SMS sei zeitlich derart geringfügig, dass auch insoweit nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit ausgegangen werden könne. 

Fazit

Die Entscheidung des BAG zeigt, dass Arbeitnehmer kein generelles Recht auf Unerreichbarkeit in ihrer Freizeit haben. Kurze organisatorische Benachrichtigungen sind folglich zulässig, sofern der Moment der Kenntnisnahme der Nachricht derart geringfügig ist, das weder die Freizeitgestaltung noch die Ruhezeiten des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne liegt dann nicht vor, sodass der Arbeitnehmer zur Kenntnisnahme etwaiger Nachrichten verpflichtet ist.