10.12.2020
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 28. Juli 2020 (Az. 1 ABR 4/19) entschieden, dass die Betriebsparteien das Inkrafttreten einer Betriebsvereinbarung nicht von der Zustimmung der Belegschaft abhängig machen können.
Der klagende Betriebsrat hatte mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die gemäß Schlussbestimmungen ihre Geltung unter die Bedingung der Zustimmung von 80 % der potenziell betroffenen Mitarbeiter stellte. Bei einer Zustimmungsquote von 60 bis 80 % sollte es dem Arbeitgeber erlaubt sein, „dies dennoch für ausreichend“ zu erklären mit der Folge, dass die Betriebsvereinbarung zunächst nur für die Mitarbeiter Geltung erlangt, die positiv abgestimmt haben. Der Betriebsrat hatte die Vereinbarung angefochten, gekündigt, geklagt und schließlich in letzter Instanz Erfolg.
Das Bundesarbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung festgestellt und dies wie folgt begründet: Zwar seien Betriebsvereinbarungen nicht per se bedingungsfeindlich. Ihre Wirksamkeit könne beispielsweise an eine aufschiebende Bedingung geknüpft werden, wenn der Eintritt der Bedingung für die Normunterworfenen ohne Weiteres feststellbar sei. Die vorliegende Konstellation sei jedoch unzulässig, da die Betriebsparteien nicht über die Rechtswirkung ihrer Vereinbarung disponieren können. Das Betriebsverfassungsgesetz ordne gemäß § 77 Abs. 4 ausdrücklich und unabdingbar die unmittelbare, zwingende normative Wirkung von Betriebsvereinbarungen an. Darüber hinaus widerspreche die Schlussbestimmung dem betriebsverfassungsrechtlichen Strukturprinzip der Repräsentation der Belegschaft durch den Betriebsrat. Das Gesetz sehe eine abgestufte Beteiligung der Belegschaft an der innerbetrieblichen Willensbildung vor. Eine demokratisch legitimierte Kollektivvertretung werde kraft Amtes im eigenen Namen tätig und sei von den Weisungen und vom Willen der Mitarbeiter unabhängig. Daher sei die unmittelbare Bindung der Normwirkung einer Betriebsvereinbarung an die Belegschaftsinteressen mit der Stellung des Betriebsrates unvereinbar. Da die Schlussbestimmungen die Geltung der Betriebsvereinbarung betreffen, folge aus ihrer Unwirksamkeit die Gesamtunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung.
Das Gesetz stellt nur wenige inhaltliche Anforderungen an Betriebsvereinbarungen. Gleichwohl sollten die Parteien stets beachten, dass ihr Gestaltungsspielraum seine Grenzen in den Strukturprinzipien der Betriebsverfassung findet. Der Betriebsrat kann auf seine Mitbestimmungsrechte nicht verzichten – auch nicht zugunsten einer Entscheidung der Mitarbeiter als unmittelbar Normunterworfene. Als gewählter Repräsentant der Belegschaft obliegt es dem Betriebsrat, die ihm betriebsverfassungsrechtlich eingeräumte Mitwirkungskompetenz selbst auszuüben und sie nicht an die Mitarbeiter „zurückzudelegieren“.