Blog

Bundesarbeitsgericht verneint Verwertungsverbot von Aufzeichnungen aus offener Videoüberwachung

01.08.2023

BLUEDEX Videoüberwachung

Die Zulässigkeit von Videoüberwachung am Arbeitsplatz ist ein seit Jahren heiß diskutiertes Thema. Insbesondere datenschutzrechtlich haben Arbeitgeber hier einige Fallstricke zu beachten. Das Bundesarbeitsgericht hat nun allerdings entschieden, dass auch eine möglicherweise gegen Datenschutzregeln verstoßende, offene Videoüberwachung des Arbeitsplatzes zur Dokumentation des Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess verwertet werden darf. Dies gilt zumindest dann, wenn auf die Überwachung ausdrücklich hingewiesen worden ist.

I. Der Sachverhalt

Die beklagte Arbeitgeberin ist Betreiberin einer Gießerei. Sie hatte ihr Betriebsgelände mit offen sichtbaren Überwachungskameras ausgestattet. Hinweisschilder auf dem Betriebsgelände machten auf die Überwachung und die Speicherdauer der Aufnahmen (96 Stunden) aufmerksam. Der Kläger, in der Gießerei als Teamsprecher beschäftigt, hatte am 2. Juni 2018 vor Beginn seiner Mehrarbeitsschicht das Werksgelände verlassen und später dennoch Vergütung für die tatsächlich nicht abgeleistete Schicht erhalten. Der Werksbetreiber, der durch einen anonymen Hinweis auf ein Video einer am Tor des Geländes angebrachten Überwachungskamera gestoßen war, kündigte dem Kläger daraufhin fristlos, hilfsweise ordentlich. Auf dem Video war zu sehen, wie der Kläger das Werksgelände vor Schichtbeginn verließ.

Der Kläger klagte gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht Hannover. Dort behauptete er, er habe am 2. Juni 2018 ordnungsgemäß gearbeitet. Die vom Arbeitgeber zum Beweis vorgelegten Videoaufzeichnungen unterlägen einem Sach- und Beweisverwertungsverbot. Sie dürften daher in dem Prozess nicht berücksichtigt werden. So verstoße die Überwachung gegen Bundes – und EU-Datenschutzrecht, insbesondere weil die Aufnahmen zu lange gespeichert worden seien. Sowohl das Arbeitsgericht Hannover (1. Instanz) als auch das Landesarbeitsgericht Niedersachen (2. Instanz) folgten der Auffassung des Klägers und gaben der Kündigungsschutzklage statt.

II. Die Entscheidung des BAG

Anders das BAG: Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die betreffenden Bildsequenzen aus der Videoüberwachung am Tor zum Werksgelände keinem Sach- und Beweisverwertungsverbot unterliegen. Es spiele insbesondere „keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)“ entsprach. Das gelte jedenfalls dann, wenn – wie im zu entscheidenden Fall – die Videoüberwachung offen erfolgt und ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. Es sei dann auch irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten habe.

Das Bundesarbeitsgericht entschied also gar nicht erst über das Vorliegen eines möglichen Datenschutzverstoßes, sondern stellte lediglich fest, dass ein solcher jedenfalls nicht automatisch zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Im Einzelfall sei deswegen immer eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Gehe es um eine fristlose Kündigung aufgrund vorsätzlichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers, sei das Interesse des Arbeitgebers an der Aufklärung des Sachverhalts höher zu gewichten als die ggf. betroffenen Datenschutzinteressen des Arbeitnehmers. Anders könnte dies jedoch zu beurteilen sein, wenn die Überwachungsmaßnahme eine „schwerwiegende Verletzung von Grundrechten“ darstelle. Das war hier jedoch nicht der Fall, da die Überwachung offenkundig war und die aufzeichnende Überwachungskamera für den Kläger „nicht zu übersehen“ war.

Das LAG hat deswegen den Sachverhalt nun erneut unter Berücksichtigung der streitgegenständlichen Videosequenzen zu beurteilen, insbesondere die übrigen Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung zu bewerten.

III. Praxisrelevanz der Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht führt seine Rechtsprechung, wonach eine offene Videoüberwachung zulässig ist, sofern kein schwerwiegender Grundrechtsverstoß begangen wird, mit der oben dargestellten Entscheidung fort. Es ist begrüßenswert, dass auch zukünftig keine Aufweichung der Maxime „Datenschutz ist nicht gleich Täterschutz“ zu erwarten ist. Die betriebliche Gefahrprävention durch Videoüberwachung bleibt demnach weiterhin möglich. Um möglichst wenig Angriffsfläche für datenschutzrechtliche Verstöße zu bieten, sollten Arbeitgeber stets transparent auf die Videoüberwachung hinweisen und dafür sorgen, dass diese für jedermann leicht zu erkennen ist.

Im Gegensatz zur offenen Videoüberwachung ist eine verdeckte Videoüberwachung hingegen nur in engen Grenzen zulässig ist. Hierfür muss der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Pflichtverletzung zulasten des Arbeitnehmers bestehen. Zudem dürfen auf Seiten des Arbeitgebers keine milderen Mittel oder Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehen.