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LAG Berlin-Brandenburg: Präsenzsitzung des Gesamtbetriebsrates trotz Covid-19-Pandemie

15.10.2020

  1. Die Entscheidung

Nach dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. August 2020 in einem Eilverfahren zum Aktenzeichen 12 TaBVGa 1015/20 darf ein Arbeitgeber eine Präsenzsitzung seines Gesamtbetriebsrates, bei der Wahlen anstehen, nicht mit Hinweis auf das erhöhte Infektionsrisiko im Rahmen der aktuellen Covid-19-Pandemie untersagen.

  1. Hintergrund

Die Antragsgegnerin ist ein Unternehmen, das überregional Rehabilitationskliniken betreibt. Der Antragsteller ist der Gesamtbetriebsrat des Unternehmens und umfasst 35 Mitglieder.

Die Antragsgegnerin hat im Juli 2020 ihren Mitarbeitern bzw. ihren Arbeitnehmer-vertretungen die Teilnahme an klinikübergreifenden Präsenzveranstaltungen untersagt. Infolge einer Covid-19-Infektion bei Ärzten, die sich privat getroffen hatten, hatten kurz zuvor 130 ihrer Patienten unter Quarantäne gestellt werden müssen.

Gegen die Untersagung richtete sich der Unterlassungsantrag des Gesamtbetriebsrates, der für Mitte August 2020 eine Präsenzsitzung geplant hatte. Die Entscheidung über die Art und Weise der Sitzungsdurchführung liege im freien Ermessen des Vorsitzenden. Die Antragsgegnerin verwies demgegenüber auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, die Berücksichtigungspflicht betrieblicher Belange sowie das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Das Arbeitsgericht Berlin entschied erstinstanzlich zugunsten des Arbeitgebers. Im Rahmen der Interessenabwägung trete die Organisationsgewalt des Gesamtbetriebsrates für die Durchführung der Sitzung hinter dem Gesundheitsschutz zurück.

In zweiter Instanz erklärte der Antragsteller seine Anträge für erledigt, soweit sie sich auf den nun bereits vergangenen Veranstaltungstermin bezogen, und stützte den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auf eine zukünftige Präsenzsitzung, zu der u.a. Wahlen vorgesehen waren. Das Landesarbeitsgericht gab dem Antrag statt. Aufgrund des Verbots der Behinderung der Betriebsratsarbeit dürfe der Arbeitgeber eine Präsenzsitzung nicht untersagen, wenn Wahlen angesetzt sind. Im Rahmen einer Telefon- bzw. Videokonferenz sei eine geheime Stimmabgabe nicht gewährleistet. Für eine Briefwahl, die die Antragsgegnerin alternativ vorgeschlagen hatte, bestehe keine Rechtsgrundlage. Daher dürfe der Gesamtbetriebsrat die Sitzung bei Einhaltung der Abstands- und Hygienevorgaben als Präsenzveranstaltung durchführen.

  1. Praxistipp

Das Recht auf die Durchführung von Betriebsratssitzungen mittels Telefon- oder Videokonferenz folgt aus § 129 BetrVG. Die Vorschrift wurde in Reaktion auf die Covid-19-Pandemie eingeführt, wobei die aktuelle Fassung des Gesetzestextes ein Außerkrafttreten zum 31. Dezember 2020 vorsieht. Aufgrund des anhaltenden Pandemiegeschehens ist mehr als fraglich, ob es dabei bleiben wird. Da das Landesarbeitsgericht in der vorstehenden Entscheidung offengelassen hat, ob § 129 BetrVG eine Arbeitnehmervertretung (außerhalb von Wahlen) nicht nur zu Sitzungen mittels Telefon- und Videokonferenzen berechtigt, sondern sie im Einzelfall auch dazu verpflichtet, ist zu erwarten, dass die Auslegung der Norm die Arbeitsgerichte auch noch in Zukunft beschäftigen wird.