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Variable Vergütung: Folgen verspäteter Zielvorgabe

07.03.2025

Bluedex

Variable Vergütung: Folgen verspäteter Zielvorgabe

Viele Arbeitsverträge sehen zur Motivation der Mitarbeiter variable Vergütungsbestandteile vor, die von der Erreichung bestimmter unternehmens- und/oder persönlicher Ziele abhängen. Dass ein Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber hat, wenn dieser gar keine Ziele vorgibt oder eine vertraglich vorgesehene Zielvereinbarung aufgrund der Mitwirkung der Arbeitgeberseite nicht zustande kommt, ist mittlerweile ständige Rechtsprechung. Doch was passiert, wenn die Ziele erst sehr spät für die betreffende Zielperiode vorgegeben werden? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dieses sehr praxisrelevante Problem nun weitgehend zu Lasten der Arbeitgeber entschieden:

I. Der Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war bis zum 30. November 2019 beim Arbeitgeber beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag sah eine variable Vergütung vor, deren Höhe sich aus der Erreichung bestimmter Unternehmens- und individueller Ziele zusammensetzte. Eine Betriebsvereinbarung regelte, dass die Zielvorgabe jeweils bis spätestens 1. März eines Jahres zu erfolgen hatte.

Der Arbeitgeber gab dem Arbeitnehmer für das Jahr 2019 keine individuellen Ziele vor. Erst Ende September 2019 teilte er ihm mit, dass für seinen Bereich ein pauschaler Zielerreichungsgrad von 142 % erwartet werde, den der Arbeitnehmer jedoch nicht erreichte. Die Unternehmensziele wurden erst Mitte Oktober 2019 vorgegeben. Der Arbeitnehmer forderte aufgrund der verspäteten Zielvorgabe Schadensersatz und begründete dies damit, bei rechtzeitiger Zielvorgabe hätte er die Unternehmensziele vollständig und die individuellen Ziele entsprechend der vorgegebenen 142 % erreicht.

Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, dass die Zielvorgaben immer noch rechtzeitig erfolgt seien und somit keine Schadensersatzpflicht bestehe. Zudem berief er sich darauf, dass eine gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 BGB vorrangig sei. Während das Arbeitsgericht die Klage erstinstanzlich noch abgewiesen hatte, gab das Landesarbeitsgericht ihr statt. Der Arbeitgeber legte daraufhin Revision zum BAG ein.

II. Die rechtliche Problematik

Kern der Auseinandersetzung war die Frage, ob eine verspätete oder unterlassene Zielvorgabe eine Pflichtverletzung darstellt, die einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB begründet.

Zudem war fraglich, ob eine gerichtliche Leistungsbestimmung gemäß § 315 BGB dazu geeignet ist, die arbeitgeberseitige Zielvorgabe in adäquater Weise zu ersetzen. Nach dieser Vorschrift kann ein Gericht eine Leistungsbestimmung vornehmen, wenn eine Partei eine geschuldete Leistung nach billigem Ermessen festzulegen hat, dies jedoch entweder unterlässt oder diese unbillig bestimmt. Eine solche gerichtliche Leistungsbestimmung scheidet jedoch aus, sobald eine nachträgliche Bestimmung der Leistung nicht mehr sinnvoll möglich ist. Fraglich war daher, ob eine solche gerichtliche Festlegung der Ziele überhaupt noch den ursprünglichen Zweck der Zielvorgabe erfüllen kann oder ob der Anreiz zur Zielerreichung unwiederbringlich verloren gegangen ist.

Zudem war die Frage nach der Schadenshöhe zu entscheiden: Nach § 252 BGB kann entgangener Gewinn anhand einer Schätzung ermittelt werden. Das BAG hatte somit auch darüber zu entscheiden, ob die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Arbeitnehmer die Unternehmensziele zu 100 % und die individuellen Ziele zu 142 % erreicht hätte, wenn die Zielvorgaben rechtzeitig erfolgt wären.

III. Die Entscheidung

Das BAG gab dem Arbeitnehmer vollständig Recht:

Der Arbeitgeber habe seine Pflicht zur rechtzeitigen Zielvorgabe schuldhaft verletzt, indem er dem Arbeitnehmer keine individuellen Ziele und die Unternehmensziele erst mit erheblicher Verzögerung vorgab. Zielvorgaben müssen nach dem BAG nicht nur formal erfolgen, sondern auch funktional wirksam sein, um ihre Motivations- und Anreizfunktion erfüllen zu können. Da eine verspätete Zielvorgabe diese Funktion nicht mehr erfüllen kann, schloss das BAG auch eine gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 BGB aus.

Zu Schadensbemessung schätzte das Gericht nach § 287 ZPO, dass der Arbeitnehmer die Unternehmensziele zu 100 % und die individuellen Ziele entsprechend dem angesetzten Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte.

Ärgerlich für den Arbeitgeber war zudem, dass das BAG das jedenfalls bei unterlassenen Zielvereinbarungen üblicherweise zu prüfende Mitverschulden des Arbeitnehmers bereits mit der Begründung verneinte, die Verantwortung für eine rechtzeitige Zielvorgabe liege allein beim Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer sei nicht verpflichtet, eine Zielvorgabe selbst einzufordern.

IV. Praxisrelevanz der Entscheidung

Auch wenn bisher noch nicht das vollständige Urteil, sondern lediglich die Pressemitteilung des BAG vorliegt, verschärft diese Entscheidung die rechtliche Situation für Arbeitgeber im Rahmen von Zielvorgaben in doppelter Hinsicht:

Arbeitgeber, die Bonuszahlungen an Zielvorgaben knüpfen, sollten sicherstellen, dass diese Vorgaben idealerweise nach den vertraglich vereinbarten Fristen, jedenfalls aber so rechtzeitig gegenüber den Arbeitnehmern kommuniziert werden, dass diese ihre Anreiz- und Motivationsfunktion noch erfüllen können. Die Initiativlast liegt hier allein auf Arbeitgeberseite!

Für den Fall der verspäteten oder unterlassenen Zielvorgabe drohen nicht nur unzufriedene Mitarbeiter, sondern auch Schadensersatzansprüche der betroffenen Arbeitnehmer. Aufgrund der Möglichkeit einer gerichtlichen Schadensschätzung kann dies selbst für tendenziell leistungsschwächere Mitarbeiter gelten, da konkreter, entgegenstehender Arbeitgebervortrag bei den Arbeitsgerichten zumindest praktisch schwierig sein dürfte.

Für die Praxis bedeutet das: Arbeitgeber sollten mehr denn je effektive und verlässliche Maßnahmen ergreifen, Zielvorgaben (und auch Zielvereinbarungen) rechtzeitig zu kommunizieren.